Donnerstag, 7. September 2017

Mein Lieblings- Patchworkbuch


Eines meiner liebsten Patchworkbücher ist dieses.
Ich habe es mir nicht gekauft, sondern bekam es geschenkt. Deshalb mag ich es besonders und es hat einen hohen Stellenwert in meinem Bücherschrank.
Hier die Geschichte dazu: Ich war 1996 als Dozentin in einem Bildungsinstitut tätig, eine Einrichtung für die Weiterbildung und Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt. Wir waren eine Außenstelle in Thüringen, der Hauptsitz der Unternehmens befand sich in Frankfurt/ Main. Die Philosophie des Unternehmens war- FRAUEN FÜR FRAUEN. Sowohl die Lehrkräfte als auch die Seminarteilnehmerinnen waren ausschließlich weiblich. Es war ungewöhnlich und bedurfte immer Erklärungen, wenn sich Männer für Seminare beworben haben.  Die Jahre dort waren eine anstrengende, aber auch eine gute und erfolgreiche Zeit.
Anmerken sollte ich noch, dass es eine Zeit war, in der  bei uns im Osten viele Betriebe abgewickelt wurden, weil ihre Produkte nicht mehr gefragt waren. Dadurch gab es auch in unserer Region sehr viele arbeitslose Frauen. Frauen, die in ihrem ganzen Leben gearbeitet hatten, Kinder erzogen haben, ihren Haushalt geschmissen haben, nebenher ein Studium oder eine andere Qualifizierung absolviert hatten. Und nun plötzlich waren sie ohne Arbeit- von HUNDERT auf NULL sozusagen.
Die Teilnehmerinnen wurden uns vom Arbeitsamt zugewiesen bzw. von sogenannten Auffanggesellschaften. Schon diese Bezeichnung lässt mir die Nackenhaare aufrecht stehen. Die Seminarinhalte waren breit gefächert. Bewerbertraining an erster Stelle, Allgemeinbildung, Computerunterricht, Mathe, Umgang mit Behörden....
Es gab sehr motivierte, aber auch viele (zu Recht) frustrierte Frauen, deren Selbstwertgefühl oft ganz weit unten war. Sie bei der Stange zu halten, war oftmals nicht ganz einfach.
Eines Tages kam ich auf die Idee, dass doch alle mal ihr Hobby vorstellen sollten. Dabei ging es nicht unbedingt um das Hobby, sondern darum, vor der Seminargruppe über etwas zu sprechen, etwas zu zeigen und auch mal etwas vorzuführen. Ich baute das im Rahmen des Bewerbertrainings ein und war gespannt, wie das ablaufen würde. Jede konnte sich einige Tage Gedanken machen und sich vorbereiten. Es gab selbstbewusste Frauen, die keine Scheu hatten, aber auch welche, die sich weigern wollten. Um ihnen die Angst zu nehmen, bedurfte es viel Überzeugungskraft.

Die ersten Redner waren Freiwillige , jede bekam 15 Minuten Zeit für ihren Vortrag.

Wir hatten so viel Spass bei der Geschichte, dass selbst die Scheuen über sich hinaus wuchsen. Es wurden Vorträge gehalten über Kakteenzucht, über die Liebe zu exotischen Tieren, über das Stricken (da gab es mehrere Vorträge), über das Binden von Kränzen, das Akordeon spielen, über Basteln und vieles mehr. Manche wollten nicht, sie hätten kein Hobby. Sie wurden aber von mir und der Gruppe ermutigt, doch etwas zu zeigen, was sie zu Hause gerne machen und gut können. Dadurch erfuhren wir unter anderem Nützliches über die richtige Art Schlagsahne zu schlagen oder über das streifenfreie Fensterputzen. Alles war erlaubt. Nur eine Festlegung hatte ich getroffen - für keine der Frauen gibt es eine Ausrede. 
Nur mein Zeitplan ging nicht auf. Es war ein Tag dafür  eingeplant. Es wurden zwei daraus. Die Teilnehmerinnen sollten nach jedem Vortrag auch eine kleine Einschätzung abgeben, wie ihnen die einzelnen Vorträge gefallen haben, sollten aber auch (sanfte) Kritik nicht vergessen. Davor war mir etwas bange, könnte doch die eine oder andere etwas falsch verstehen. Sie waren aber alle fair und nahmen auch Kritik offen entgegen. Es sollte ihnen ja für die Zukunft nützlich sein.
Zum Schluss hielt ich dann einen Vortrag über mein Hobby, Quilts zu nähen. Ich hatte auch einiges zum Zeigen dabei und sie durften sich dann auch im Handnähen selber ausprobieren. Als nach einem Jahr der Lehrgang zu Ende war bekam ich von dieser Gruppe ein Abschiedsgeschenk - dieses Patckworkbuch. Es hat 320 Seiten, ist riesig groß( 27 x 36 cm) und schwer, nicht nur wegen seines Gewichtes, sondern auch wegen des Inhalts. Es ist ein tolles Buch, aber keines mit Anleitungen. Sondern ein Bildband mit Beschreibung der amerikanische Quiltgeschichte. Es werden historische Quilts gezeigt, die sich in Museen befinden und Quilts aus der heutigen Zeit. Alle Texte sind in deutsch, englisch und französich gedruckt. Ich kann nicht sagen, wie oft ich mir dieses Buch bereits an einem Winterabend aus dem Schrank geholte habe, um es durch zu blättern. Es ist erstaunlich, was bereits im 19. Jahrhundert für tolle Werke geschaffen wurden, ohne Stoffe aus Patchworkläden, Online- Versand und ohne Rollschneider.

Und immer sehe ich die Gruppe Frauen vor mir, deren Namen ich längst vergessen habe. Aber ich sehe sie sitzen, die kleine Frau mit den acht Kindern ganz rechts hinten, die Korbulente, die mit dem Vortrag über Schlagsahne. Die, die gerade den Führerschein machte  und ständig über den  Fahrlehrer meckerte. Er würde behaupten, das Autofahren wäre nichts anderes als Wäschewaschen. Er hätte doch keine Ahnung, sagte sie, bei ihrer Waschmaschine gibt es keinen Gegenverkehr. Oder die flippige, immer gut gelaunte Rothaarige,stets einen flotten Spruch auf den Lippen, die als erste eine Arbeit fand. Und die Frau, die sich weigerte, Bruchrechnen zu machen. Sie meinte, das könne sie nicht mehr, weil sie schon vor 25 Jahren die Schule beendet hat.  Als wir dann aber mir 1/4 Liter Milch, 1/2 Tasse Zucker und 1/8 Liter Öl gerechnet haben, hat es bei ihr gefunkt.

Ich denke manchmal an sie alle. Und ich wünsche mir, dass sie alle ihren Weg gefunden haben. Mit guter Gesundheit, mit einer zufriedenstellenden Arbeit, mit Glück in der Familie und mit einem Hobby, dass auch mal über eine etwas schwierige Zeit helfen kann.

Ich denke an sie, wenn ich mal wieder das Buch aus dem Schrank hole.






7 Kommentare:

  1. Das hast du sehr schön geschrieben, da möchte man nichts hinzufügen. Ich meine das mit dem Hobby. Ja, Hobbies können einem so viel geben, wir wissen das ja alle, also auch z.B. wir, die "an der Nadel hängen" ;-), gell!? ;-)))
    Chapeau, daß Du das gemacht hast!

    Liebgrüße,
    Tiger
    🐯

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  2. Das ist wieder ein sehr schöner Bericht. Hach, wie gerne ich deine Texte lese. Mach das weiter so, ich komme dich so gerne auf deiner Seite besuchen. Ich grüße dich ganz herzlich aus dem Schwabenländle. Rieke

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  3. Liebe Renate,
    das war ein sehr schöner Bericht und ja, es war eine... ...seltsame, aber auch aufregende Zeit damals und jeder hat seine ganz bestimmten Erinnerungen daran, so wie Du mit "deinen" Frauen in dem Kurs. Bestimmt werden sie bei manchen Situationen auch noch an Dich und Deine Ermutigung denken.
    Liebe Grüße Viola

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  4. Hi, Rela. Hab grade mal geschaut, das Buch gibt es noch gebraucht, aber mit einem anderen Cover. Ob das das gleiche ist? Freundliche Grüße von Kerstin
    PS. Habe dir eine Mail geschickt.

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  5. Eine schöne Geschichte um ein Buch. Solche Dinge gewinnen einen festen Platz in unserem Leben. Danke für's Teilen der Erinnerung.
    LG
    Valomea
    LG
    Valomea

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  6. Danke für die Geschichte zum Buch.
    Liebe Grüße, Inge

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  7. Ich glaube dir sehr gerne, dass du dieses Buch besonders magst. Und wenn es noch so einen schönen, informativen Inhalt hat, noch besser. Halt es in Ehren. Magdalena

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