Sonntag, 19. September 2021

Gefunden ...

... habe ich im Keller in einem Schrank eine ältere Pralinenschachtel.

Als ich sie öffnete, fiel es mir wieder ein, warum sie sich dort befand.


Sie stammt aus dem Nachlass einer Großtante meines Herrn. L..

Beim Ausräumen ihrer kleinen Wohnung vor fast 30 Jahren war mir die Schachtel in die Hände gefallen. Sie enthielt alte Fotos, ein paar alte Postkarten aus Tirol aus dem Jahr 1913 und Briefe. Die Briefe, stark vergilbtes Papier und doch noch in einem erstaunlich guten Zustand.



 

 

Ich nahm sie damals natürlich mit, weil ich auf dem ersten Brief  eine erstaunliche Jahreszahl entdeckte.  1885. Alte Fotos kenne ich ja viele, sind doch in unserem Elternhaus noch einige von unseren Vorfahren  aufbewahrt. Aber diese alten Briefe machten mich neugierig.

Solch alter Schriftverkehr ist sicherlich nicht mehr oft in Familien vorhanden und muss einfach genauer betrachtet werden. Ich glaube, den Datenschutz kann man nach so langer Zeit auch außer Betracht lassen, oder?

 



 

Entdeckt habe ich auch ein Zeugnis für einen (vermutlichen)  Praktikanten aus dem Jahre 1877. Ich musste es zweimal lesen, denn der Rektor und Verfasser vom Zeugnis und der Beurteilte hatten nämlich beide den Namen Müller.

Erstaunlich, dass vom letzteren nicht wenigsten das Geburtsdatum bzw. eine Anschrift enthalten war. So etwas würde bei der heutigen Bürokratie niemals durchgehen.




 

In dem Zeugnis steht ua :

Herrn W. Müller, seit Ostern an hiesiger Stadtschule, bescheinige ich auf sein Verlangen, das derselbe in der ihm übergebenen gemischten Mittelklasse der II. Bürgerschule nicht nur mit Lust und Liebe, sondern auch- trotz schwieriger Verhältnisse-  mit Erfolg gearbeitet hat. Sein Umgang mit den Kindern und seine Disziplin sind lobenswert.

Herr Müller erteilt außerdem noch Gesangsunterricht in der Mädchenoberklasse der II. Lehrschule, Geographie in Klasse 3 der I. Lehrschule und Religion und Gesang in Unterklasse B der II. Lehrschule.

Da es ihm nicht an  Lehrgeschicklichkeit  fehlt steht zu erwarten, daß er bei regem Eifer für seine Weiterbildung, stets zur Zufriedenheit der Schulgemeinde und seinen Herrn Vorgesetzten tätig sein wird...

Daraus schlussfolgere ich, dass er später ein lehrerstudium begonnen hat und im Jahr 1887 dann in folgendem Brief über seine Prüfungen und die Ergebnisse berichtete. 

 

 

Hier ein paar Auszüge:

Löbau, den 26.ten März 1887

Mein liebes, süßes Herzenstrutchen!

Endlich ist, Gott sei gedankt, die schriftliche Prüfung zu Ende. Wir haben geschrieben über folgende Themen:

Aufsatz - 4 Stunden - „Die Glocke in der Poesie“

Naturkunde- 2 Stunden -  „Die Haut des menschlichen Körpers, ihre Tätigkeit und Pflege.“

Geschichte - 2 Sunden- „Warum wird Friedrich Wilhelm der Große Kürfürst genannt?“

Religion - 2 Stunden - „Das fünfte Hauptstück, wer empfängt solch Sakrament würdiglich?“ (Lied: Schmücke dich, o liebe Seele.)“

Geographie- 2 Stunden- „Das Deutsche Reich – das Herz Europas.“

Rechnen - 2 Stunden - 3 Aufgaben, davon 2 Rechnen und 1 Geometrie ; hier ging es uns allen sehr schlecht, denn von den 7 Lehrern, die wir hier sind, hatte ich allein 1 Aufgabe gelöst und, wie sich nachher herausstellte noch falsch. Gestern Nachmittag war Konferenz und der Direktor und der Rechenlehrer – Oberlehrer Witt, sind dabei hart aneinander geraten, weil letzterer die Aufgaben zu schwer gestellt hat. Heute haben wir nun noch einmal gerechnet und zwar leichtere Aufgaben, welche ich alle 4 richtig gelöst habe; mit mir noch andere.

Gestern nachmittags lies der Direktor alle zusammenkommen und erzählte unter besonderer Betonung, daß mein Aufsatz einer der besten sein soll und auf den Aufsatz kommt das meiste an. In der Religion habe ich ebenfalls im schriftlichen das Prädikat „genügend“. Die  übrigen Fächer weiß ich nicht.

Heute . . . zogen wir Lehrproben, welche am Dienstag gehalten werden. Die meine heißt: „Das Verbot des V. Gebotes.“ - “Daß wir unseren Nächsten an seinem Leibe keinen Schaden noch Leid thun.“

Gott hat bis hier her geholfen, er wird auch weiter helfen! . . .

 

 

 

Die Großtante meines Mannes ist das Mädchen auf dem linken Foto.


 

Der oben genannte Lehrer Wilhelm Müller war vermutlich ihr Großvater. Denn sie erzählte immer, dass sie aus einem strengen Lehrerhaus stammen würde.

Die alten Fotos sind auch sehr interessant. Was mir aufgefallen ist, alle fotografierten Personen schauen ernst, sehr ernst. Niemand lächelt.

In der Schachtel waren noch ein Führerschein aus dem Jahr 1914 und Fahrzeugpapiere von 1937, Einkaufsausweise aus dem 2. Weltkrieg und andere persönlichen Papiere. 

Und noch mehr Briefe, deren Schrift sehr klein ist und manchmal fast unlesbar. Es gibt welche, die sind bis auf die letzte Stelle des Blattes beschrieben und manche sind durch Feuchtigkeit etwas fleckig. Aber alle sind mit Tinte geschrieben. 

 

Mich faszinieren solch alte Briefe sehr, weil sie in der heutigen Zeit etwas besonderes sind. Nur noch wenige  Menschen schreiben persönliche Briefe. Das Telefon, die E- Mail und WhatsApp haben solche  Briefe ganz weit in das Abseits gerückt. Sehr schade, finde ich. 

Wann habt ihr das letzte Mal einen Brief geschrieben, einen ganz persönlichen, mit viel Zeit, einem Füller und mit Tinte?


 

 

 

 




 


8 Kommentare:

  1. Alleine schon eingangs die Wappenklasse Pralinenschachtel, die sagt mir auch noch was. Aber dann die schönen Briefe und Bilder, und was für eine gestochen scharfe und akkurate Schrift! Mein Vater hatte lange, daran erinnere ich mich, auch noch so ein Kasten mit solchen Raritäten, auch Schablonen von ihm selbst für schöne Buchstaben, wenn man ein Plakat machen wollte zum Beispiel, also damals. Ich habe auch noch Sütterlin ein wenig gelernt, zumindest könnte ich es heute noch gut lesen, schreiben nicht mehr so flüssig. Aber in meiner Teenyzeit und auch als Twen noch, habe ich doch noch oft geschrieben, Korrespondenz mit Füller, aber natürlich in lateinischer Schrift dann. Heute ist meine Schrift nicht mehr schön wie damals, ich krickel doch schon leider. Aber beim Einkaufszettel, da ist es noch schwungvoll und schön, wahrscheinlich weil man da lockerer ist als wenn man Zeilen für jemanden anderen schreibt, da ist man doch immer etwas mehr unter Druck vielleicht. 🤔😬😁😉

    Danke für den schönen Post!😍

    Liebgruß,
    Rita
    🐯

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  2. Liebe Rela, ein Schatz Dolch ein Fund.
    Wann habe ich einen Brief geschrieben mit Füller nach der Schulzeit sicher nicht mehr. Ich habe das Ding gehasst.
    Einen Brief zu Weihnachten im letzten Jahr zwar auf einer Karte aber auch die war bis zum letzten ausgefüllt. Meine Weihnachtskarten schreibe ich immer mit der Hand. Und erst vor ein paar Wochen eine Karte mit Briefcharakter. Das heißt mehr als die üblichen Grüße. Ich finde das so viel persönlicher weil man es immer wieder in die Hand nehmen kann.
    Liebe Grüße, Marita

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  3. Ich schreibe immer wieder mal Briefe mit der Hand, mache es aber nicht gerne, da meine einstmals schöne Handschrift, in der Pubertät erworben, völlig verhunzt ist, denn ich musste als Lehrerin neben der LA, die ich als Kind gelernt habe, im Laufe der letzten 25 Jahre noch drei weitere Schriften lernen und den Kindern vermitteln, so dass ich bei meiner eigenen Schrift völlig durcheinander komme.
    Solche tollen Schätze meiner Schwiegermutter bewahre ich auch noch auf, hätte es aber toll gefunden, wenn noch etwas von deren Schwiegervater, dem Schulmeister von Trebau, dabei gewesen wäre. So als Kollegin interessiert einen das Schulleben anno dunnemals schon.
    Eine gute neue Woche!
    Astrid

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  4. Das ist ein wirklicher Schatz in heutier Zeit...der Überschrift "Mein liebes, süßes Herzenstrutchen"- musste ich doch herzhaft schmunzeln- wie süß...;-)

    LG Klaudia

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  5. Da hast du in der alten Pralinenschachtel ja einen richtigen Schatz gefunden. 1888 - da würde meine Großmutter geboren. Diese Schrift kann heute auch nicht mehr jeder lesen. Und ich finde es immer wieder wunderbar, wie ordentlich damals geschrieben wurde. Vielleicht sogar noch mit dem Federhalter?
    Liebe Grüße
    Renate

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  6. Liebe Regina,
    da hast du ja einen richtigen Schatz in der Pralinenschachtel gefunden!
    Auch bei uns gibt es noch so alte Fotos und Dokumente von meinem UrUrGroßvater.
    Echte Zeitzeugen, wenn auch nicht unbedingt Weltbewegendes.
    LG Doris :o)

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  7. Ist das toll! Vor allem die wundervolle Schrift. Niemand kann heute mehr so schön schreiben!!!!!
    Die Leute schauen so ernst (ich sah das mal bei einer Doku), weil die Belichtungsdauer so lange war und man nur reglos/ernst so lange in der Pose verharren konnte.

    Nana

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  8. Liebe Regina,
    was für ein Schatz. Ich kann gut verstehen, dass Du diese Schachtel seinerzeit mitgenommen hast. Das hätte ich auch gemacht, so etwas ist ein Zeitdokument, welches unbedingt aufbewahrt werden muss. Ich liebe Sütterlinschrift, ich habe sie mir als Kind mal selbst beigebracht. Gedruckt kann ich sie sehr gut gelesen, handschriftlich habe ich da aber doch meine Probleme. Ja, es stimmt, heutzutage schreibt man viel weniger Briefe als noch früher. Eigentlich ist es schade darum.
    Liebe Grüße Viola

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